Sonntag, 30. Juli 2023

 


 

 

Ein Sommer ohne Schwalben?

Ich liebe es im Sommer auf der Terrasse zu sitzen und in den Himmel zu schauen.

Mein Mann verfolgt jedes Flugzeug, mit oder ohne Kondensstreifen, und rätselt woher es kommen und wohin es fliegen könnte.

Ich sitze und beobachte gerne die Vögel. Im Sommer vor allem die Schwalben. Wie sie mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Lüfte ziehen. Manchmal so hoch, dass sie nur mehr als kleiner Punkt zu sehen sind, manchmal knapp über den Baumwipfeln.  Untermalt von einem langgezogenem „ziehhhhhh“. Da weiß ich, es ist Sommer!

Die Flughöhe der Schwalben orientiert sich nach dem Vorkommen der Insekten. Schwalben sind Insektenfresser. Aber sie picken sie nicht vom Ast oder Blatt, wie z.B. die Meisen das tun, sondern sie fliegen mit weit geöffnetem Schnabel durch die Luft und sammeln, wie mit einem Fangsack, die Fluginsekten ein.

So erstelle ich auch gleich meine Wetterprognose. Fliegen die Schwalben hoch, herrscht Lufthochdruck und das Wetter bleibt schön. Fliegen sie tief, so könnte sich das Wetter umstellen und Regen kommen. Also eigentlich sind nicht die Schwalben die Wetterpropheten, sondern die Insekten. 

Aber heuer sehe ich keine Schwalben. Der Himmel bleibt „vogelleer“. Und ich rätsle woran das liegen könnte:

Vielleicht an den Raubvögeln? Im angrenzenden Waldstück nisten nämlich Bussarde. Mehrmals am Tag ziehen sie ihre Kreise, oft nur wenige Meter über unserem Apfelbaum. Und manchmal, zu viert, hoch über dem gegenüber liegenden Buchenwald. Auch sie sind bewundernswert, wie sie mit nur einem oder zwei Flügelschlägen Kraft holen und minutenlang die Thermik ausnützen, um in ausgezirkelnden Kreisen das Tal nach Beute abzusuchen. Ich weiß nicht, ob sich die Schwalben dadurch bedroht fühlen?

Oder vielleicht liegt es daran, dass jemand alle vorhandenen Schwalbennester im Stall des nahegelegenen Bauern letztes Jahr zerstörte? Früher waren in dem Stall ca. 20 Stück Rinder. Schwalben waren jedes Jahr gern gesehene Gäste, die in sämtlichen Ecken des Kuhstalles ihre Nester hatten. Die Stallfenster waren gekippt und durch die Öffnungen sausten die Schwalben hinein und wieder hinaus.

Dann rentierte sich die Kuhmilchhaltung für den Bauern nicht mehr. Er sattelte auf Kürbisse um. Der Stall erhielt eine neue Funktion. Nun sind darin über100 verschiedene Kürbissorten ausgestellt und auf Infotafeln kann man den Namen und die Verwendungsmöglichkeiten lesen. Wenn sich auch der Zweck der Halle veränderte, die Schwalbennester blieben nach wie vor in ihren Ecken kleben und erhielten alljährlich Besuch.

Nun sind die Nester verschwunden. Die Halle ist für Besucher und Besucherinnen frei zugänglich. Irgendjemand zerstörte letztes Jahr, aus blödem Übermut und wohl auch aus Unwissen, alle Nester. Schwalben haben doch ein gutes Gedächtnis! Sie merken sich ja auch die Flugrouten! Meiden sie nun unser Tal, weil sie hier schlechte Erfahrungen machten?

Oder liegt es an einer Vielzahl von Gründen, dass die Insekten, vor allem die kleinen Fluginsekten, verschwinden und damit auch die Nahrung für die Schwalben? Jeder Autofahrer weiß doch, dass man noch vor 20 Jahren ohne Insektenschwamm die Windschutzscheibe kaum klar bekam. Die Motorhaube war übersät von Insektenleichen. Und nun? Da kann man 500 km fahren und das Auto ist am Ziel genau so sauber wie beim Start.

 

In dem Buch „Stumme Erde“ von DAVE GOULSON sind die möglichen Hintergründe für das Verschwinden der Insekten und in weiterer Folge auch der Singvögel, erläutert. Natürlich ist es wichtig, dass wir alles tun, um die Bienen und Wildbienen zu schützen. Aber wie so oft handeln wir Menschen vor allem, um wirtschaftlichen Nutzen und Ertrag zu erhalten. Wir brauchen die Bienen um unsere Obstplantagen und Gemüsepflanzen zu bestäuben. Aber sind Fliegen, Mücken, Käfer, Kleinschmetterlinge für uns Menschen genauso wichtig? Ja manchmal sind sie uns sogar lästig, denken wir nur z.B. an die Gelsen. Sind sie deshalb weniger schützenswert?

Wenn wir Menschen etwas als Mangel empfinden, ist es meistens schon „5 Minuten vor 12“, also fast schon zu spät. Dann versuchen wir zu reparieren. Aber eine Reparatur erfolgt an einem Teil vom Ganzen. Die Natur funktioniert aber in Zusammenhängen. In Zusammenhängen und Regelwerken, die für uns oft nicht ersichtlich sind.

FREDERIK VESTER war ein deutscher Biochemiker und Systemforscher und hat sich schon in den Achtziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Kybernetik und den Zusammenhängen in der Natur beschäftigt und in seinen Büchern versucht, diese zu erklären. „Die Welt – ein vernetztes System“ oder „Der Wert eines Vogels“ sind nur zwei davon, aber immer noch aktuell und empfehlenswert. Er beschreibt die Natur als offenes System, das sich auf die Verhältnisse und Eigenschaften und Veränderungen seiner Umgebung einstellt. Für uns Menschen wäre es aber nicht immer vorhersehbar, wie sich unsere menschlichen Eingriffe im großen Ganzen dann auswirken.

Letztendlich kommt auch GOULSON zu dem Schluss, dass nicht nur eine Komponente Schuld am Verschwinden der Insekten hat, sondern alle zusammen: Monokulturen, verschwundene Artenvielfalt auf den Wiesen und in unseren Gärten, Spritzmittel, eingeschleppte invasive Arten, ja und auch die Klimaerwärmung und Unwetter würden ihren Beitrag dazu leisten.

Das alles könnte depressiv machen. Noch dazu, wenn man das Gefühl hat, dem Geschehen ohnmächtig ausgeliefert zu sein.

Aber nein, dem ist nicht so!

GOULSON beschreibt im letzten Kapitel seines Buches eine Vielzahl von Maßnahmen, die jede und jeder in seinem/ihrem Umfeld tun. (Davon im nächsten Blogbeitrag) Vor allem ist mir wieder bewusst geworden, dass auch das kleinste Insekt seine Bedeutung hat! 

Ich habe schon weiter oben erwähnt, dass sich die Natur den Gegebenheiten anpassen kann. Wenn wir also achtsamer umgehen, könnte ja auch wieder eine Verbesserung eintreten. Ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, dass ich nächstes Jahr wieder die Schwalben über unseren Köpfen kreisen sehe.

 

Bild: Stadt Wien, Naturschutz

Dave GOULSON: Stumme Erde, Hanser, München 2022, ISBN 978-3-446-27267-5

Frederic VESTER: Unsere Welt - ein veernetztes System; dtv, München 2002, ISBN3-423-33046-5

Frederic VESTER: Der Wert eines Vogels; Kösel, München 1987, ISBN 3-466-11038-6


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